Gebärdensprachdolmetschen wird entweder haupt- oder nebenberuflich ausgeübt. Hauptberufliche Dolmetscher*innen können als Selbstständige*r oder als Arbeitnehmer*innen tätig werden, wobei in Bayern die selbstständige Tätigkeit überwiegt.
 
Arbeitnehmer*innen im Angestelltenverhältnis gibt es bisher bei öffentlichen und privaten Institutionen und Einrichtungen wie Universitäten, Fachhochschulen, Bildungseinrichtungen, Verbänden, Rehabilitationseinrichtungen sowie in der freien Wirtschaft.
 
Selbstständig arbeitende Dolmetscher*innen schließen sich vereinzelt in privaten Dienstleistungsfirmen und Dolmetscherbüros (Bürogemeinschaften) zusammen.
 

Berufsvoraussetzungen, Ausbildung, Abschlüsse, Weiterbildung

Für die Tätigkeit des Gebärdensprachdolmetschens gibt es keinen einheitlichen Zugang. Die Qualifikation für die Ausübung dieser Tätigkeit kann unterschiedlich nachgewiesen werden, wobei qualitativ graduelle Unterschiede festzustellen sind.
 
 
Berufsvoraussetzungen

Gebärdensprachdolmetscher*innen benötigen übersetzerische Kompetenzen sowie sprachliche und fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Sprachbegabung bzw. die Beherrschung des Deutschen und der Deutschen Gebärdensprache ist zwar Voraussetzung für ein effektives und effizientes Dolmetschen, sprachliches Wissen allein ist jedoch nicht ausreichend, um dolmetschen zu können. Über die traditionellen einzelsprachlichen Fähigkeiten (Hörverständnis und Sprechfertigkeit / Sehverständnis und Gebärdenkompetenz bzw. Leseverständnis und Schreibfähigkeit) hinaus sind weitere Fähigkeiten unabdingbar, die unter dem Begriff übersetzerische Kompetenz zusammengefasst werden. Hierzu gehören:

  • Translatorisches Wissen (auch prozessuales Wissen)
  • Fachwissen bzw. Sachverhaltswissen
    Dieses Wissen eignen sich Dolmetscher*innen im Laufe ihrer Ausbildung sowie ihrer beruflichen Tätigkeit an.
  • Kulturelles Wissen
    Umfassende Kenntnisse der Kultur und Lebensweise der hörenden Mehrheit sowie der Gewohnheiten, Besonderheiten und Lebensweise der Gebärdensprachgemeinschaft.

Der Begriff translatorisches Wissen umfasst das Erkennen von Text- bzw. Redestrukturen und -funktionen und den Transfer derselben in die Zielsprache sowie die Beherrschung von Strategien (Umgang mit Störeinflüssen etc.) bzw. Methoden und Techniken (simultan und konsekutiv dolmetschen etc.).

Darüber hinaus wird eine spezifische Begabung für das Simultandolmetschen benötigt, die durch spezielle Ausbildung und intensives Training zu einer praxistauglichen Kompetenz entwickelt werden kann. Diese spezifische Begabung beinhaltet die Fähigkeit zur unmittelbaren Umwandlung von in einer Sprache gesprochenen bzw. gebärdeten Mitteilungen (wobei ein antizipatorisches Erkennen von syntaktischen Strukturen und Sinnzusammenhängen nützlich ist), ein hohes Konzentrationsvermögen, schnelle Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis, Redegewandtheit, umfassende Allgemeinbildung, gute Stimmtechnik und -modulation sowie sicheres und gewandtes Auftreten in der Öffentlichkeit. Da Gebärdensprachdolmetscher*innen zumindest für die gehörlosen Rezipienten sichtbar sein müssen, befinden sie sich permanent mitten im Geschehen. Deshalb ist die zuletzt genannte Kompetenz von besonderer Bedeutung: Der erhöhten Aufmerksamkeit, die Gebärdensprachdolmetscher*innen auf Grund ihrer ungewöhnlichen und stets sichtbaren Tätigkeit oft entgegengebracht wird, muss souverän begegnet werden. Ebenso muss der zusätzliche Stress, der durch die unmittelbare Nähe zum Geschehen entstehen kann, unbemerkt bewältigt werden.
 
Weil Dolmetscher*innen überwiegend an wechselnden Orten zum Einsatz kommen, unregelmäßige Arbeitszeiten haben und sich fortwährend auf unterschiedliche Situationen und Gesprächsteilnehmer einstellen müssen, sollten sie über ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität verfügen. Sie sind einer hohen psychischen und physischen Belastung ausgesetzt, weshalb eine gute Gesundheit und Kondition sowie ein hohes Leistungsvermögen unabdingbar sind.
 
Da Gebärdensprachdolmetscher*innen in der Regel in Teams arbeiten, wobei sie sich gegenseitig unterstützen und nach einem vorher vereinbarten Zeitturnus abwechseln, sollten sie außerdem über Teamfähigkeit sowie Kritik- und Konfliktfähigkeit verfügen.
 
Aus den beiden zuvor genannten Gegebenheiten ergibt sich die Notwendigkeit guter organisatorischer und koordinatorischer Fähigkeiten.
 
Um die verantwortungsvolle Tätigkeit auf einem hohen Niveau ausüben zu können, werden außerdem ein hohes Maß an intellektueller Neugier, Kreativität, abstrakt-logischem Denken und Bereitschaft zu lebenslangem eigeninitiativem Lernen benötigt.
 
Die Gebärdensprachgemeinschaft ist eine sehr kleine, überschaubare Gemeinschaft, in der Informationen schnell von einem zum anderen gelangen. Gebärdensprachdolmetscher*innen sollten deshalb mit dem aus vielfachen Dolmetschsituationen erworbenen Wissen über Personen und Sachverhalte überaus diskret umgehen.

Das Dolmetschen in einzelnen Bereichen stellt darüber hinaus spezielle Anforderungen an Dolmetscher*innen:

  • Beim Konferenzdolmetschen werden hohe sprachliche und fachliche Anforderungen gestellt. Es wird die Fähigkeit vorausgesetzt, sich innerhalb kürzester Zeit auf der Grundlage von Kongressunterlagen und Fachliteratur in neue Gebiete einzuarbeiten. Da unmöglich im gesamten Wissensspektrum eine gute Dolmetschqualität geboten werden kann, erfolgt häufig eine Spezialisierung auf bestimmte Themengebiete. Die Anforderungen beim Dolmetschen im Bildungsbereich und im Arbeitsleben bzw. der freien Wirtschaft sind vielfach ähnlich.
  • Beim Gerichtsdolmetschen ist eine breite Allgemeinbildung ebenso wichtig wie forensische Grundkenntnisse sowie die Kenntnis der juristischen Terminologie in beiden Arbeitssprachen. Daneben sind häufig Fachkenntnisse in anderen Gebieten erforderlich (Technik, Medizin o. ä.), so dass auch hier intensive Vorbereitung wie z. B. Aktenstudium betrieben werden muss.

Ausbildungsgänge und Abschlüsse

In Deutschland gibt es verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten für Gebärdensprachdolmetscher*innen:

  • Universität mit dem Abschluss Diplom-Gebärdensprachdolmetscher*in, BA Gebärdensprachdolmetscher*in, MA Gebärdensprachdolmeter*in
  • Fachhochschule mit dem Abschluss Diplom-Gebärdensprachdolmetscher*in (FH), BA Gebärdensprachdolmetscher*in (FH), MA Gebärdensprachdolmeter*in (FH)
  • berufsbegleitende Ausbildungsgänge mit Zertifizierung

Darüber hinaus bieten einige private Sprachenschulen und -institute sowie sonstige Einrichtungen Ausbildungen für Gebärdensprachdolmetscher*innen an, die in Niveau und Qualität äußerst unterschiedlich ausfallen und von den einschlägigen Verbänden sowie Kostenträgern nicht in jedem Fall anerkannt werden.
 
Die Eingangsvoraussetzungen für die unterschiedlichen Ausbildungsgänge variieren und können bei den jeweiligen Ausbildungsstätten erfragt werden. Eine aktuelle Liste der vom Bundesverband der Gebärdensprachdolmetscher*innen Deutschlands e.V. anerkannten Ausbildungsstätten kann über die Geschäftsstelle angefordert werden.
 
Unabhängig von einer Ausbildung gibt es die Möglichkeit, einen Qualifikationsnachweis bei einem staatlichen Prüfungsamt zu erwerben. Erfolgreiche Absolventinnen der Prüfung sind berechtigt, den Titel „staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin“ / „staatlich geprüfter Gebärdensprachdolmetscher“ zu führen.

Weiterbildung

Eine ständige Fort- und Weiterbildung auch nach Abschluss einer Ausbildung ist für Gebärdensprachdolmetscher*innen unabdingbar.
 
Um den komplexen Anforderungen sowie den wechselnden Themen bei unterschiedlichen Einsätzen gewachsen zu sein, muss sich die Dolmetscher*in in sachlicher und sprachlicher Hinsicht ständig auf dem Laufenden halten.
 
Auch der Umgang mit neuen technischen Medien muss fortlaufend geübt und erweitert werden.